Sonntag, 9. Juni 2024

Der Morgen nach der Europawahl 2024

© Stephanie Hofschlaeger  / pixelio.de
Eigentlich wollte ich mich nach der Europawahl einmal mit anderem Geschreibsel beschäftigen. Vielleicht mich endlich mal wieder den netten kleinen Alltagsgeschichten zuwenden, die uns allen passieren, über die man gern im Rückblick lacht, weil sie halt so schön menschlich sind.

Es war gar nicht mein Plan, mich ständig mit politischen Themen zu beschäftigen.
Hin und wieder, ja. Doch es kam anders. Es musste einfach aus mir raus, die Sorgen und Ängste, die mir Faschisten und Extremisten machen. Und jetzt die Bestätigung. Ich bin ratlos, wie ist das möglich in einer Zeit, in der jeder alles wissen kann, wo man überall an Informationen kommt, zu allen Themen lesen kann? Ja, die Populisten pur im Bundestag und auf der Straße erleben muss, dass es einem kalt den Rücken rauf und runter kriecht?

Könnte mir eigentlich alles wurscht sein.

Und jetzt sitze ich hier und irgendwie ist mir nicht zum Lachen zu Mute. In zwei Monaten zählt mein Leben 70 Lenze. Könnte mir eigentlich alles wurscht sein. Könnte, ist es aber nicht. 

Ich hatte das Glück, in der friedlichsten Zeit Deutschlands bzw. Europas zu leben. Und das wünsche ich mir für meine Kinder und Enkelkinder auch. Es war nicht immer alles gut in der BRD und Streit gab und gibt es immer in der Politik, jedenfalls ist das gemeinsame Ringen um Lösungen, die Grundlage von Demokratie. Regierungsparteien wechselten, entschieden gute und nicht so gute Dinge. Aber immer wurde früher oder später alles gut, weil das Gerüst, das System der Demokratie nicht in Gefahr war. Da war so ein Grundgefühl, eine Art Urvertrauen. Das aber bröckelt in den letzten Jahren. Ich glaube, wir haben zu lange geschlafen. Gedacht: ja, wird schon, ist so eine Erscheinung, wir haben unsere Witzchen gemacht, weil wir nicht glauben konnten, dass in unserer aufgeklärten westlichen Welt, Extremisten noch eine Chance haben Macht zu bekommen. Wir haben uns geirrt. Das ist schrecklich, aber offensichtlich.

Wie erreicht man Nichtwähler?

Wie gesagt, ich bin gerade ratlos. Was können wir als einfache Bürger tun, um den Zulauf zu Extremisten zu stoppen? Nun, ich sehe schon, dass der demokratische Widerstand die AfD einige Prozentpunkte in Deutschland gekostet hat. Es hat also etwas bewirkt, dass Demokraten sich für die Demokratie einsetzen. Doch es reicht nicht. Über 40 % Nichtwähler. Menschen, die nicht verstehen, dass ihre Freiheit und ihr Wohlstand in Gefahr sind? Denen es egal ist, ob sie frei leben können? Wie erreicht man diese Menschen?

Ein Wort an Nichtwähler:

Ich bin mit Sätzen aufgewachsen wie: „Das kannst du nicht, das geht nicht, das nützt doch sowieso alles nichts“. Das macht Menschen ohnmächtig und hilflos. Und das war viel schlimmer als tatsächliches Scheitern, nachdem man etwas überhaupt versucht hat. Irgendetwas in mir hat sich nicht kleinkriegen lassen. Hat gegen viele Widerstände versucht, das zu tun, was sich für mich richtig anfühlte. Es ging einfach gar nicht anders. Ja, es gab Rückschläge, Bodennähe und scheinbar aussichtslose Phasen. Doch es gab auch die Mutmachmomente, Bestätigung und Erfolge. Und am Ende konnte ich eben doch! Am Ende hat es doch genützt! Und am Ende hat es mir doch gebracht, was ich suchte!

Deshalb weiß ich auch ganz tief in mir, dass man niemals aufgeben darf, für eine Sache einzustehen, für die man brennt.

Sie immer wieder zu hinterfragen: Ja!
Neue Möglichkeiten suchen: Ja!
In Schockmomenten ratlos sein: Ja!

Aber dann muss man weitergehen. Verbündete suchen, den Mund aufmachen, diskutieren, erklären, offenlegen, auf die Straße gehen.

Wenn die Ergebnisse der Europawahl ein Spiegel für die Bundestagswahl im nächsten Jahr sind, dann müssen wir weitermachen, neue Ideen haben, aufklären, erklären. Jeder kann das machen. Irgendwie mit seinen Möglichkeiten. Viele Einzelne ergeben ein Ganzes. Deshalb werde ich auch nicht aufhören, mich mit meinen bescheidenen Möglichkeiten zu wehren.

 dandelion

NS: „Bleiwüste“
Ich bin gelernte Schriftsetzerin aus dem letzten Jahrhundert. Damals stellte man noch einzelne Bleibuchstaben in ein sogenanntes „Schiffchen“. Fügte Zeile für Zeile hintereinander. Lange Texte hießen deshalb Bleiwüste.

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